Was ist gute Supervision? – Teil 2

Qualitätsdimensionen und -kriterien von Supervision

„Die Kriterien ergeben sich aus einer Mischung von wissenschaftlichen Überlegungen, zeitlich geprägten Trends, ethischen Überlegungen und beruflichen Erfahrungen.“ [1] Auf der Grundlage eines solchen abduzierenden Verfahrens werden nun im Folgenden Qualitätskriterien vorgeschlagen. [3]

1. Strukturqualität

Die Strukturqualität bezieht sich auf die Rahmenbedingungen und die Ausstattung des Supervisors. Grundfrage für diese Qualitätsdimension ist: WAS braucht es für die Supervision? Im Einzelnen können folgende Kriterien genannt werden:

  • Qualifikation des Supervisors (formal und non-formal)
  • Erhaltung bzw. Weiterentwicklung der Qualifikation durch Kontrollsupervision, Intervision, Fortbildung
  • Methodenkompetenz (Methodenvielfalt, Transparenz und Erklärbarkeit der Methoden)
  • Fähigkeit zur Selbstreflexion
  • Organisatorische Rahmenbedingungen: Räumlichkeiten, Erreichbarkeit, Ausstattung, Datenschutzmaßnahmen
  • Vertragsgestaltung (Klarheit, Verständlichkeit, Vollständigkeit, Transparenz)

2. Prozessqualität

Die Prozessqualität bezieht sich auf alle Handlungen und Aktivitäten, die den Supervisionsprozess selbst betreffen. Sie ist eine dynamische Größe und beschreibt die Art und Weise, wie der Prozess geschieht. Grundfrage für diese Qualitätsdimension ist: WIE verläuft der Supervisionsprozess?

  • Gestaltung des Erstgesprächs: Klärung des Anliegens, Auftragsklärung, gegenseitige Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen, Kontraktgestaltung, Vertraulichkeitsvereinbarung, Klärung des Rahmens
  • Erstellung eines individuellen Konzeptes
  • Gezielter Einsatz von Interventionsstrategien (personen-, situations-, anliegen- sowie wirkungsbezogen)
  • Partizipation des Supervisanden
  • Transparenz über die Gestaltung des Supervisionsprozesses
  • Supervisor-Supervisanden-Beziehung
  • Abschluss des Prozesses (Auswertungsgespräch, Kriterien für Beendigung, Überprüfung des Ergebnisses, ggf. Klärung bzgl. Information an Dritte)

3. Ergebnisqualität[5]

Die Ergebnisqualität bezieht sich auf den Grad des erreichten Erfolges einer Maßnahme für den/die Supervisanden, den Auftraggeber und weitere indirekt Beteiligte. Grundfrage dieser Qualitätsdimension ist: Was ist dabei herausgekommen?

  • Subjektiv empfundene Zufriedenheit des/der Supervisanden und des Auftraggebers
  • Veränderte Problemsicht des Supervisanden
  • Transparenz über eigene Verhaltensmuster des Supervisanden
  • Ressourcenaktivierung
  • Unterschiedsbildung in der Wirklichkeitskonstruktion
  • Erweiterung und Flexibilisierung des Handlungsrepertoires (erhöhte Problembewältigungskompetenz)
  • Alltags- und Lebenswelttransfer der Ergebnisse
  • Ökonomische Bewertung (Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag)

4. Konzeptqualität

Die Konzeptqualität bezeichnet das handlungsleitende gedankliche Grundgerüst des Supervisors. Die Grundfragen dieser Qualitätsdimension sind: Welcher theoretische Hintergrund liegt dem Supervisionsprozess zugrunde und wie sind die entsprechenden Konzepte umgesetzt worden?

  • wissenschaftliche Validität des Konzeptes
  • Kongruenz (v.a. bei Arbeit mit verschiedenen Konzepten)
  • Passung zwischen Konzept, Anliegen und Persönlichkeit der Supervisanden
  • Konzeptspezifische Anforderungen:
  • Für die systemische Konzeption: Inwieweit wird systemisch gearbeitet?
    • Hypothesenbildung
    • Arbeit an/mit Wirklichkeitskonstruktionen und Erweiterung des Möglichkeitsraumes
    • Kontextsensibilität
    • Ressourcenorientierung
    • Zukunfts- und Lösungsorientierung
    • Supervisand als Experte

5. Ethische Qualität[7]

Die Ethische Qualität bezieht sich auf die dem Supervisionsprozess und der Supervisionsbeziehung zugrundeliegenden Wertmaßstäbe. Grundfrage dieser Dimension ist: Sind die ethischen Rahmenbedingungen eingehalten worden?

  • Auftragsorientierung
  • Selbstbestimmung des Supervisanden
  • Transparenz hinsichtlich der Gestaltung des Prozesses
  • Einhaltung klarer Grenzen, Nähe und Distanz
  • Einhaltung der Schweigepflicht und Datenschutz
  • Erkennen der Grenzen der eigenen Kompetenz und Qualifikation auf Seiten des Supervisors
  • Beschwerdemanagement

Zum Stellenwert der Qualitätskriterien

Die genannten Qualitätsdimensionen und -kriterien erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch sind sie nicht gedacht als Grundlage für ein standardisiertes Manual für „gute Supervision“ oder als Abhakliste. [8]

Sie haben eher die Funktion eines Diagnosebogens oder eines Qualitätskompasses. Sie können dienen als Reflexionshilfe für den Supervisor sowie für den Austausch in Intervisions- und Ausbildungsgruppen.

Da die Frage, ob ein Kriterium erfüllt ist, voraussichtlich in vielen Fällen für den Supervisor alleine nicht eindeutig zu beantworten ist, kann es wichtig sein, darüber mit dem Supervisanden ins Gespräch zu kommen. Ja, man kann sagen: Es ist gerade ein Qualitätsmerkmal der Supervision, dass Qualitätskriterien in der Supervision gemeinsam mit dem Supervisanden reflektiert werden.

Die Bedeutung von implizitem Wissen

Neben der rationalen Steuerung eines Supervisionsprozesses, die sich an expliziten Qualitätsstandards orientiert, spielt auf Seiten des Supervisors auch sein implizites Wissen eine Rolle. Dieses Wissen ist intuitives Wissen, das sich in der Praxis als „Gespür“ bemerkbar macht. Es liegt dem Handeln unbewusst zugrunde und ist vom Handelnden oft schwer begründbar ist. „Der Handelnde weiß gar nicht, was er weiß. Wissen, das ein Können ist, verschmilzt so mit der Person des Handelnden, das es ihm beim besten Willen nicht gelingt, es zu objektivieren [] Selbst seiner Reproduktion sind enge Grenzen gesteckt: Wer etwas kann, vermag es vorzumachen; oft steht es ihm aber nur dann zur Verfügung, wenn es eine Handlungssituation tatsächlich erfordert.“[9]

Das implizite Wissen entsteht durch Erfahrung. Oder besser noch: Durch reflektierte und auch korrigierte Erfahrung. Aus diesem Grund steht das implizite Wissen auch nicht im Gegensatz zu explizitem Wissen (wie es die genannten Qualitätskriterien ausdrücken), sondern in einer fruchtbaren Wechselbeziehung. Konkret: Die Reflexion von auf der Grundlage impliziten Wissens vollzogener Handlungen vor dem Hintergrund von Erkenntnissen expliziten Wissens führt zur Fortentwicklung beider Wissensbereiche.

[2] T. Heß / W. Roth (2001), 64.

[3] Wie D. Berndt / M. Hülsbeck (2009), 110, feststellen, „mangelt es in der psychosozialen Beratung an Kriterien, die semi-professionelle von professioneller Beratung unterscheiden helfen bzw. Aussagen über die Qualität der angebotenen Beratungsleistung treffen können.“ Daher konnte nur überschaubare Anregungen für dieses Kapitel herangezogen werden, nämlich T. Heß / W. Roth (2001), H. Möller (2012), C. Rauen (2017), Sektion PPS der DGfP (o.J.)

[4] A. Donbedian (1980). Vgl. 2.1 Qualität.

[5] Vgl. dazu aber auch 3. „Hauptsache es hilft“? – Die Problematik einer ausschließlichen Ergebnisorientierung.

[6] Vgl. T. Beelitz (2011).

[7] Vgl. zum Folgenden DGfP (2014) §9, Systemische Gesellschaft (2017).

[8] Vgl. R. Haubl (2009) 186.

[9] Vgl. R. Haubl (2009) 188. Möller (2012) 311 bezeichnet deshalb das Supervisionsprozess deshalb auch als „Kunsthandwerk, in dem es gerade um die individuelle Einzigartigkeit des Geschehens geht“.

Business Coaching und berufliches Coaching Kassel

Oliver Teufel

Systematischer Coach, Berater, Supervisor und Dozent in der Weiterbildung